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Der
freie Mensch
denkt an nichts weniger als an den
Tod;
und seine Weisheit
ist ein Nachsinnen
über das Leben.
ÜBER KURSÄCHSISCHE SOLDATEN – familienkundliche Quellen im HStA Dresden Stößt der Familiengeschichtsforscher bei seinen genealogischen Recherchen auf kursächsische Soldaten bzw. Offiziere, kann er sich angesichts der Quellenlage glücklich schätzen. Zumindest kann er zuversichtlich sein, erwarten ihn doch in aller Regel anhand der vorliegenden Archivalien weitergehende Erkenntnisse und oft wird eine wesentliche Ergänzung eventuell von bislang fehlenden Lebensdaten, Angaben zur Herkunft sowie zum (militärischen Lebenslauf möglich sein. Es soll hier keine Geschichte der kursächsischen Armee abgehandelt werden. Zum Verständnis sei aber die Entwicklung der Armee Kursachsens kurz dargestellt. Bereits vor dem 30-jährigen Krieg konnte das Prinzip des Lehnsaufgebots zum Zweck der Landesverteidigung angesichts veränderter sozioökonomischer Verhältnisse und der damit im Zusammenhang stehenden dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen nicht mehr aufrechterhalten werden. In Kursachsen wurde aus diesem Grund bereits 1611 das so genannte Defensionswerk geschaffen. Dieses stellte eine Landmiliz dar, deren Angehörige sich aus der wehrhaften Mannschaft der einzelnen kursächsischen Ämter rekrutierte. Die Truppenaushebungen erfolgten durch Musterungen[A] der wehrbaren männlichen Bevölkerung. Die periodisch militärisch geschulten Mannschaften, die Defensioner, wurden in Kompanien eingeteilt und aus diesen Regimenter aufgestellt. Trotzdem dieses Defensionswerk im Grunde an mittelalterliche Militärtraditionen und Wehrbegriffe anknüpfte, stellte es im Gegensatz zum in den deutschen Ländern verbreiteten Landesknechtswesen und den damals üblichen Truppenanwerbungen einen militärischen Fortschritt dar, was jedoch nicht verhinderte, dass sich das kursächsische Defensionswesen den oft von landfremden Söldnerführern befehligten Berufsheeren als unterlegen erwies. Jedoch wurden die etwa 15.000 kursächsischen Defensioner von einem Offizierskorps geführt, das aus Berufsoffizieren bestehend das Rückrat der Landesverteidigung darstellte. Lange nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde 1663 unter Kurfürst Johann Georg II. die Reorganisation des sächsischen Defensionswesen in Angriff genommen. Die Planung sah die Aufstellung von sechs Fähnlein zu je 500 Mann in Dresden, Freiberg, Leipzig, Torgau, Wittenberg und Leipzig vor. Johann Georg III. erneuerte dieses Defensionswerk 1684 und zwei Jahrzehnte später stellte Kurfürst Friedrich August 1704 dreitausend Defensioner i der neuen Landmiliz auf. Doch bereits 1711 wandelte ein in Kraft gesetztes Mandat die Umwandlung des kursächsischen Defensionswerkes in eine reguläre Armee, ein kleines stehendes Heer, um. Diese jetzt ständig zur Landesverteidigung zur Verfügung stehende Truppe wurde zunächst in eine reguläre Miliz umgewandelt und vier stehende Kreisregimenter aufgestellt. Wurden die Milizangehörigen des sächsischen Defensionswerkes im Jahr gewöhnlich dreimal zur Musterung aufgerufen und etwa viermal jährlich zu Militär- und Exerzierübungen für wenige Tage zusammengezogen, rekrutiert die kursächsische Armee nun gezielt gediente Soldaten und Offiziere, die einem recht strengen Regiment unterworfen wurden. Während die Defensioner lediglich drei Jahre lang aktiven Dienst abzuleisten hatten, um dann entlassen zu werden und Vorrechte bei der Erlangung des Bürgerrechts und der Meisterwürde zu genieß0en, unterlagen die aktiven Mannschaften nunmehr lediglich einer Dienstaltersgrenze, die ab 1725 vom 20. bis zum 35. Lebensjahr reichte. Hierbei ist allerdings eine differenzierte Betrachtung unumgänglich. Schätzungsweise nur ein Drittel der wehrbaren männlichen Bevölkerung unterlag der tatsächlichen Dienstpflicht in den neu aufgestellten vier Kreisregimentern Weißenfels, Oschatz, Bautzen und Freiberg (seit 1745). Das Losungssystem und Festlegungen, dass bestimmte Berufsträger wie Schmiede, Köhler, Schankwirte von der Dienstverpflichtung befreit wären, hatten weitreichende Folgen. Qualitativ und quantitativ konnte sich die kursächsische Armee mit der des aufstrebenden preußischen Staates nicht messen. Die sich aus einem Feld- und Territorialheer zusammensetzende kursächsische Armee war einem straff geführten Berufsheer aus mehreren Gründen unterlegen. das uneinheitlich angewandte Rekrutierungssystem führte zu personellen Lücken sowohl in den Feld- als auch in den Kreisregimentern. Dem begegnete man durch die Anwerbung Freiwilliger (auch „ausländischer“ Soldaten, also Einwohnern benachbarter deutscher Territorialstaaten)[B] sowie durch die Perfektionierung der Rekrutenerfassung und des Dienstverpflichtungssystems. Die Dauer der aktiven Dienstzeit wurde mehrfach revidiert, der Zeitraum der eigentlichen Militärverpflichtungszeit beispielsweise wurde am 1729 auf neun Jahre festgelegt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts führte eine jedoch nur unvollständig durchgeführte Heeresreform zu einer Verstärkung der sächsischen Armee. 1763 hatte der sächsische Landtag eine Verminderung des Heeres auf ca. 16.000 Mann beschlossen. Bis 1803 wuchs die Zahl der sächsischen Soldaten dann auf 31.000 Mann. Infolge des im Dezember 1806 abgeschlossenen Posener Friedens endete die Ära des alten kursächsischen Staates, das Land wurde in das von Frankreich i Mitteleuropa geschaffene und von ihm kontrollierte politische System eingebunden. Sachsen trat dem französisch dominierten Rheinbund bei und wurde Königreich, musste gleichzeitig jedoch bereits Gebietsabtretungen in Thüringen akzeptieren. Eine Zäsur stellt für Sachsen und seine Armee jedoch 1815 der Wiener Kongress dar. Sachsen verliert nahezu 3/5 seiner Fläche und rund 40 % seiner Einwohnerschaft (Gesamtzahl 1815 etwa 2. Millionen) an Preußen. Diese Entwicklung hatte Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der mitteldeutschen Geschichte. Die Weiterungen dieser damaligen politischen Entscheidungen wirken in gewissem Sinne bis heute nach. Unmittelbaren Einfluss hatten die Ereignisse von 1815 abgesehen von der territorialen Verkleinerung des sächsischen Staates infolge des Wiener Friedens insbesondere im sächsischen Militär- bzw. Heereswesen. Sachsen wurde politisch und militärisch marginalisiert, eines der Hauptziele Preußens war erreicht. Bereits nach 1810 unterblieben Anwerbungen für die Auffüllung der Militärregimenter vollständig. Die Rekrutierungen sächsischer Soldaten erfolgten ausschließlich nur noch durch Aushebungen. 1811 entstanden in Sachsen besondere für die Aushebungen zuständige Militärbehörden. Die Militärdienstzeit wurde 1825 auf acht Jahre, 1834 auf sechs Jahre festgesetzt. Mit dem Beitritt Sachsen zum Norddeutschen Bund wurde 1867 ein Wehrgesetz nach preußischem Vorbild verabschiedet. Dieses Gesetz unterwarf die männliche Bevölkerung vollständig der allgemeinen Wehrpflicht. Die facetten- und ereignisreiche Geschichte der sächsischen Armee konnte hier nur grob dargestellt werden. Der interessierte Genealoge und Heimatforscher kann sich anhand der vorliegenden Literatur intensiv mit dem Gesamtthema auseinandersetzen und seine Kenntnisse vertiefen. Um die Einbindung individueller Schicksale in die großen geschichtlichen Abläufe und Prozesse zu verstehen wird dies im konkreten Fall sogar unumgänglich sein! Als Grundlagenliteratur und Einstiegswerke wären hie in erster Linie die Veröffentlichungen von Heinrich August Verlohren[C] (Stammregister und Chronik der sächsischen Armee) sowie von Schuster, 0./Francke, A. (Geschichte der sächsischen Armee) zu nennen.[D] Eine informative und hilfreiche Quelle aus neuerer Zeit stellt für den Genealogen sicherlich die Veröffentlichung (CD-ROM) von Scherer, Erich „Handlexikon Militärgeschichte“ (Zur Geschichte des Militärs mitteldeutscher Kleinstaaten vom 16. bis 19. Jahrhundert, Begriffe, Garnisonen, Formationen, Personen) dar.[E] Priorität hinsichtlich der genealogischen Recherchemöglichkeiten besitzen jedoch nach wie vor die archivalischen Quellen. Im Hinblick auf die Mitlitergeschichte sind das Militär- und Garnisonskirchenbücher, Musterlisten sowie andere Primärquellen. Wie eingangs erwähnt kann die Quellenlage zur sächsischen Militärgeschichte nur als sehr gut eingeschätzt werden. Von den im Hauptstaatsarchiv in Dresden (HStA) befindlichen Archivbeständen erscheinen dem genealogisch Interessierten insbesondere die Jahrgangsweise geführten Musterlisten der einzelnen Regimenter interessant, erschließen sich doch aus diesen wesentliche genealogische Angaben wie Herkunftsort, Alter (Dienstalter), Charge, Angaben zu den Eltern usw. Im Dresdener HStA sind im Bestand „Geheimes Kriegsratkollegium“ unter der Signatur Nr. 11241 (Bestandssignatur Musterlisten) Regimentslisten (so genannte Musterlisten) aus der Zeit zwischen 1681-1867 erfasst. Der Gesamtbestand umfasst mehrere Hundert Einzelbände. Vor Benutzung und Einsicht dieser Musterlisten ist es allerdings notwendig sich Kenntnisse über den Namen der jeweiligen militärischen Einheit bzw. die Regimentsbezeichnung zu verschaffen, in dem der gesuchte Vorfahre seinen dienst absolvierte. Häufig finden sich solche (leider allzu oft nur ungenauen) Angaben in Kirchenbucheinträgen. Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich bei der weiteren Suche dann oft dadurch, dass die Regimentsnamen relativ häufig wechselten. In der kursächsischen Armee wie in anderen Armeen mitteleuropäischer Territorien wurden die Regimenter in der Regel nach den sie führenden Offizieren benannt. Darüber hinaus gab es auch bereits im 17. Jahrhundert und 18. Jahrhundert taktische Regimentsbezeichnungen (beispielsweise 1. Regiment zu Fuß, Leibgarde zu Ross, 1. Dragonerregiment, Kürassierregiment, Chevaulegers usw.). Anhand des bereits oben erwähnten Werkes von VERLOHREN; welches Listen aller jemals in Sachsen existierenden Regimenter, ihrer Chefs und ihrer wechselnden Bezeichnungen enthält, kann sich der Genealoge recht leicht ein vollständiges Bild verschaffen, um anschließend im Archiv gezielt in den jeweiligen Musterlisten nach dem oder den Vorfahren recherchieren zu können. Im Zusammenhang mit der Forschung in den Musterlisten ist zu beachten, dass aus der Zeit von 1757 -1762 (Siebenjähriger Krieg) und 1812 – 1815 keine Musterlisten existieren. (Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt an der auch 16.000 Sachsen teilnahmen, marschierten die Franzosen in das von ihnen als neutral erklärte Kursachsen ein, um den Staat in eigene Verwaltung zu übernehmen, die öffentlichen Einnahmen zu beanspruchen und eigene Kontributionen zu erheben. Nicht zuletzt wurde die Armee in der Folge nach französischem Muster umgebildet.) Den Gesamtbestand der Musterlisten erschließt ein umfangreiches und vollständiges Findbuch, das Jahrgangsweise geordnet für jedes einzelne Jahr zwischen 1681 und 1867 alle jeweils existierenden Militärregimenter (z.T. auch selbständige Bataillone) und die Bestandsnummer der jeweiligen Musterliste nennt. Eine ebenfalls sehr wichtige und z.T. ebenso hilfreiche wie aufschlussreiche Quelle stellt die so genannte „Genealogische Sammlung – Militärbestände/Stammkunde“ (auch „Militär-Nationale“ genannt) dar. Diese unter der älteren Bezeichnung „Militär- Nationale“ bekannte Belegsammlung (Aktenbestand im HStA Dresden unter der Bestandsnummer Nr. 11371) ist unter gewissen Gesichtspunkten als für die genealogische Forschung bedeutsamer und im Vergleich zu den Musterlisten z.T. auch hinsichtlich des Informationsgehaltes als relevanter einzuschätzen. Diese „Genealogische Sammlung der Militärbestände“ (auch „Stammkunde“) wird ebenso durch ein vollständiges Findbuch erschlossen (Manuskript, grauer Aktenordner, Signatur Nr. 11371, Titel gleichlautend). Das Findbuch zur „Stammkunde/Genealogische Sammlung Militärbestände“ (die genauen Bezeichnungen wechseln) weist insgesamt alphabetisch geordnet 14.097 ! Familienstämme aus. In jeder Beleg- bzw. Namensmappe(dieselben sind stets nur nach diesen im Findbuch genannten mehr als 14.000 gemeinsamen Träger ein und desselben Familiennamen gewesen sind, ohne zu einem Stamm zu gehören oder miteinander verwandt zu sein. Die Gesamtzahl der in der so genannten „Stammkunde“ (=Militär-Nationale) erfassten Personen dürfte nach Schätzung bei einigen Zehntausend liegen. Im Einzelfall muss also stets die einzelne Aktenmappe zur Einsicht angefordert werden, um sich einen Überblick über die art und den Umfang der in der jeweiligen Stammkunde-Mappe enthaltenen Informationen verschaffen zu können. Enthalten sind in den archivalischen Unterlagen der Militär- Nationale/Stammkunde (Genealogische Sammlung) unterschiedlichste Dokumente. Neben Gesuchen (Pensionierung, Entlassung), Attesten, Lazaretteinweisungen, Versetzungen finden sich Entlassungsscheine, Revers, Verzichtserklärungen, Verpflichtungen, schriftliche Anfragen an Vorgesetzte, Briefe von Hinterbliebenen bzw. Witwen an Militärbehörden, private belege einzelner Soldaten, Verzichtsscheine und andere militärische Dokumente jeder Art. Sehr oft finden sich aber sehr konkrete Angaben und Hinweise über den Lebenslauf der einzelnen Soldaten (Herkunft, Eltern, Lebensdaten, Verheiratung, Anzahl der Kinder, Eintritt i die Armee, militärischer Werdegang, Beförderungen usw. usf.). Versagen also die Musterlisten oder werden in den selben nur ungenaue bzw. oberflächliche Angaben gemacht helfen dann oftmals d8e Bestände der „Stammkunde“ weiter. Hierbei gilt es freilich zu differenzieren. In erster Linie werden stets die Musterlisten einzusehen sein. Die Angaben in dem Militärbestand „Genealogische Sammlung“ sind fast immer nur von ergänzender Natur. Zu beachten ist dabei grundsätzlich, dass nicht jeder in den Musterlisten erfasste kursächsische Soldat tatsächlich archivalische Spuren in der „Stammkunde“ hinterlassen hat. Eher ist vom Gegenteil auszugehen. Unter Zugrundelegung bestimmter Ausgangsbedingungen jedoch kann die primäre Prüfung des Stammkunde-Bestandes dann Sinn machen, wenn beispielsweise das Regiment, in dem ein gesuchter Vorfahr Dienst tat, nicht bekannt sein sollte (ist freilich ein Eintritts-, Dienst- oder Entlassungsjahr bekannt, hilft wieder das Findbuch der Musterlisten weiter, da für jedes einzelne Jahr der Gesamtbestand der einzelnen Militärregimenter aufgelistet wird). Anhand der Schilderung soll deutlich werden, dass der Genealogie wie bei der Recherche nach Vorfahren allgemein üblich alle relevanten und eventuellen infrage kommenden Quellen prüfen und durchsehen muss, will er ein akzeptables Ergebnis präsentieren und den Lebensweg des einzelnen Individuums möglichst lückenlos nachvollziehen. Begegnet dem Genealogen ein kursächsischer Offizier gelten in erster Linie die bisherigen im Zusammenhang mit Musterlisten und Stammkunde gebrachten Darlegungen. Darüber hinaus stehen dem recherchierenden Familiengeschichtsforscher unter Berücksichtigung der vergleichenden und kritischen Quellenanalyse gedruckte Quellen zur Verfügung. Neben dem bereits oben genannten Werk von VERLOHREN wäre hier in erster Linie Karl Leopold von GÖPHARDT „Verzeichnis der Offiziere in der Chursächsischen Armee im 18. Jahrhundert“ (Manuskript) zu nenne.[F] Insgesamt muss die Quellenlage im sächsischen HStA Dresden hinsichtlich der Recherchemöglichkeit (kur-)sächsischer Militärpersonen als sehr gut eingeschätzt werden. Der Autor besitzt unter seinen vorfahren etliche sächsische Soldaten und in jedem Fall konnten anhand der genannten Quellen weitergehende Angaben erschlossen und ergänzende Informationen gewonnen werden. Nachtrag: Wie andere mitteleuropäische Armeen auch entwickelte sich die Armee des Königreiches Sachsen im 19. Jahrhundert zu einer modern ausgerüsteten Massenarmee. Das Wehrsystem entsprach den Festlegungen und Bestimmungen des Norddeutschen Bundesgesetzes („Verpflichtung zum Kriegsdienst“) vom 09.11.1867. Die königlich sächsische Armee wurde seit 1867 nach preußischem Muster umgestaltet und bildete das 12. (Königlich Sächsische) und das 19. (Königlich Sächsische) Armeekorps des deutschen Heeres mit Generalkommandos in Leipzig und Dresden. Die sächsische Armee bestand aus vier Divisionen (Führungsstäbe in Dresden, Leipzig und Chemnitz) mit acht Infanteriebrigaden, drei Kavalleriebrigaden, vier Feldartilleriebrigaden (Gesamtstärke 15 Infanterieregimenter, 7 Kavallerieregimenter, 8 Feldartillerieregimenter, 1 Fußartillerieregiment, Stand ca. um 1900).
Autor: Thomas Engelhardt A] Zum Teil liegen Musterlisten aus älterer Zeit vor. Ein Beispiel (wenngleich nicht Sachsen betreffend) ist die Musterliste des Amtes Gotha aus dem Jahre 1588. (OEHRING,
Rudolf „Musterungsliste der Dörfer des Amtes Gotha von 1588“, in „Die
Thüringer Sippe“ 2. Jg. 1936) [B] Durch das Dresdner Mandat vom 19.11.1774 wurde die Anwerbung fremder (also nicht sächsischer) Soldaten „wegen der vom Land künftig zu besorgenden alljährlichen Rekrutierung des Mannschaftsabganges bei der Armee“ verboten. Die Rekruten konnten fortan nur noch in Sachsen geworben werden. Für die Ausrüstung der Gestellungssoldaten hatten die einzelnen Gemeinden zu sorgen. Sie waren verpflichtet, ein Handgeld zu zahlen. Die dienstverpflichteten Rekruten hatten die Möglichkeit, einen Ersatzmann zu stellen. Die so genannten Rekrutengelder waren ein fest eingeplanter teil der Gemeindekassen Ausgaben [C] VERLOHREN, Heinrich August „Stammregister und Chronik der Kur- und königlich Sächsischen Armee“, Leipzig 1910 (Nachdruck Degener Verlag, Neustadt a.d. Aisch 1983 = Bibliothek familiengeschichtlicher Quellen, Band 28) [D] Schuster, =./Francke, A. „Geschichte der sächsischen Armee“ (2 Bände), Leipzig 1885 [E] SCHERER, Erich „Handlexikon Militärgeschichte“, Halle 2004 (directmedia-Verlag, ISBN 3-89853509- 6) [F] von GÖPHARTDT, Karl Leopold „Verzeichnis der Offiziere in der chursächsischen Armee im 18. Jahrhundert“ (Handschrift) (Belegexemplar in der Handbibliothek/Lesesaal im HStA Dresden. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, (früher: Staatsarchiv), Archivstr. 14, 01097 Dresden, Tel.: 0351/5671274
Des einen Tod - des andren Brot
Leichenpredigten als Quelle
von Thomas Engelhardt
Der Genealoge, der zeitlich absteigend über Vorfahren im 17. Jahrhundert recherchiert, wird meistens nicht umhin kommen, sich mit Leichenpredigten (LP) zu beschäftigen, da diese zu den wichtigen personengeschichtlichen Quellen aus dieser Zeit zählen. Dies unter besonderer Berücksichtigung der Tatsache, dass die soziale wie geographische Mobilität der Führungsschichten im 17. und 18. Jahrhundert relativ hoch war und Kirchenbücher, wenn überhaupt vorhanden, hier oftmals versagen. Nach der Reformation wurde es in evangelischen Gebieten Deutschlands bzw. in den jeweiligen deutschen Ländern üblich, LP mit dem Lebenslauf des Verstorbenen zu verfassen. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts begann die Drucklegung solcher LP, die sich jedoch nur Angehörige der mittleren und höheren Stände leisten konnten. Der überwiegende Teil der bis heute in verschiedenen Sammlungen vorhandenen LP entstand ab Ende des 16. Jahrhunderts. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts läuft dann diese Sitte, LP in Druck zu geben und in kleiner Auflage, insbesondere im Familien- und Sippenkreis zu verteilen, aus. An ihre Stelle treten dann oft schon gedruckte Todes- anzeigen, so genannte Notifikationen. Der Brauch, weitläufige Trauerreden (Lobreden) oder Parentationen am Grabe Verstorbener zu halten, ist freilich älter. Erst im 16. Jahrhundert begann man aber, den Leichenpredigten z. T. umfangreiche so genannte Personalien anzuhängen, die den Lebenslauf des Verstorbenen, seine Familienverhältnisse, seine Abkunft aufzeigten. Gewürdigt wurden persönliche Verdienste, insbesondere aber auch sein Bekenntnis zum Glauben und sein Wirken für und in der Kirche. Mit der Drucklegung sollte schließlich in besonderer Weise ein ehrendes Gedenken an den Verstorbenen bewahrt bleiben. Recherchiert der Genealoge in Ahnenkreisen des Adels, des Bürgertums (städt. Patriziat), des Beamtentums oder des Gelehrtenstandes (Pastoren, Hochschullehrer) empfiehlt sich grundsätzlich die Überprüfung, ob neben Kirchenbuchregistern weitere Quellen auszuwerten sind. In Betracht kommen hier, wie ausgeführt, in erster Linie die LP. Sehr oft werden in den LP nicht nur die Vorfahren im Mannesstamm aufgeführt, sondern ganze Genealogien ausgebreitet. Diese Angaben über die Aszendenzen sind freilich entsprechend quellenkritisch zu würdigen, worauf noch einzugehen sein wird. Die in der Forschungsstelle für Personalschriften der Uni Marburg erfassten ca. 120.000 Leichenpredigten repräsentieren weitestgehend den heutigen Gesamtbestand im deutschen Sprachraum sowie in den Vertreibungsgebieten (u. a. Breslau, Liegnitz, Prag). Es ist in diesem Zusammenhang unerlässlich zu erwähnen, dass sich LP in mehr oder minder großer Zahl im Grunde in sehr vielen Bibliotheken und Archiven finden, dort aber oft nicht katalogisiert oder systematisiert sind. Die umfangreichste LP-Sammlung in Deutschland ist die Stolberger LP-Sammlung, die etwa 20.000 LP umfasst. Andere große Sammlungen befanden sich in der Hamburger Staatsbibliothek (21.000 LP), in der Stadtbibliothek Danzig (9.500 LP), in der Staatsbibliothek Hannover (16.000 LP), in der Liegnitzer Kirchenbibliothek (5.000 LP), sowie in der Uni-Bibliothek in Breslau (30.000 LP) und Stettin (5.000 LP) Viele dieser bekannten großen LP-Sammlungen sind leider als Kriegsverluste zu beklagen oder nur noch bedingt zugänglich. So fielen die bedeutenden Sammlungen in Hamburg, Hannover, Rostock und Danzig den Bombardements der Alliierten zum Opfer. Die Bestände in Breslau und Liegnitz befinden sich heute in der Uni-Bibliothek in Breslau und sind in der Forschungsstelle für Personalschriften in Marburg erfasst. Die Tatsache, dass viele der in den genannten vernichteten Sammlungen früher befindliche LP als Duplikate an anderen Standorten vorhanden sind, wird den Familienforscher befriedigen. Jedoch lässt sich der kulturhistorische Wert der kriegsbedingt verlorenen Sammlungen in Zahlen nicht annähernd ausdrücken. Der Bestand anderer großer Sammlungen (Stadtbibliothek Braunschweig 8.600 LP, Universitätsbibliothek Göttingen 12.000 LP, Landesbibliothek Stuttgart 20.000 LP, Ratsschulbücherei Zwickau (10.000 LP) ermöglicht dem Forscher umfangreiche Recherchen. Der Gesamtbestand an deutschsprachigen Leichenpredigten beläuft sich auf etwa 250.000 bis 300.000. Davon befinden sich auf dem Gebiet der alten Länder der Bundesrepublik etwa 150.000 bis 170.000, auf dem Gebiet der früheren DDR etwa 80.000 bis 100.000 und außerhalb der BRD 35.000 bis 50.000. Bei den hier genannten Zahlen kann es sich jedoch nur um vorsichtige Schätzungen handeln. Umfragen und Ermittlungen vor 1980 ergaben, dass auf dem Gebiet der Bundesrepublik an 17 Standorten 94.322 LP vorhanden waren. Hochrechnungen ergaben dann die Zahl von ca. 130.000 auf dem Gebiet Westdeutschlands befindlichen LP. Nach weiteren einschlägigen Forschungen musste diese Zahl in den letzten Jahren nach oben korrigiert werden. Wenn in Marburg heute lediglich 121.000 LP digitalisiert verarbeitet und über eine URL-Adresse im Internet abrufbar sind, muss berücksichtigt werden, dass ein großer Teil der LP als Duplikate an mehreren Standorten gleichzeitig vorhanden ist. Die Auflagenhöhe gedruckter LP erreichte eine Zahl zwischen 200 und 300 Exemplaren. Neben der Verteilung im Familienkreis gelangten diese Druckwerke gezielt in den Verkauf und so tauchen angebotene LP z. B. auch in Messkatalogen Leipzigs auf. LP wurden in ihrer Zeit als Teil der Erbauungsliteratur angesehen, was ihre relativ weite Verbreitung erklärt. Ein großer Teil der heute bekannten größeren LP-Sammlungen ist katalogisiert. Einige dieser Kataloge wurden im 19. und 20. Jahrhundert in diversen Zeitschriftenfolgen gedruckt veröffentlicht. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass das gesamte vorliegende Schrifttum über LP für den Laien nicht mehr übersichtlich ist. Eine kurze Zusammenfassung wird im Taschenbuch für Familiengeschichts-forschung geboten. Eine gute bibliographische Übersicht bietet dagegen die Veröffentlichung »Leichenpredigten. Eine Bestandsauf-nahme«. Hier wird der interessierte Forscher wichtige Hinweise auf einschlägige Veröffentlichungen erhalten, da nicht nur auf Literatur über LP verwiesen wird, sondern auch Standorte und Kataloge aufgelistet werden. Es sei an dieser Stelle aber auch noch auf die sehr hilfreiche Veröffentlichung von Roth, Fritz »Restlose Auswertungen von Leichenpredigten für genealogische... Zwecke« sowie auf »Die Leichenpredigten des Stadtarchivs Braunschweig« verwiesen, die für den Genealogen insbesondere deshalb von Interesse sein dürften, weil hier jeweils inhaltliche Kurzzusammenfassungen der Texte geboten werden und nicht zuletzt auch fast immer, wenn diese Angaben in der LP enthalten sind, Angaben zu den Vorfahren gemacht werden. Erfahrungsgemäß machen diese sehr guten Arbeiten, die beide mit einem Registerband versehen sind, den Genealogen aber nicht frei von der Aufgabe, sich Kopien der entsprechenden Leichenpredigten zu beschaffen. Erstens sind in den Originaltexten die Gesamtzusammenhänge besser erfassbar, wenngleich aufgrund der zeitgenössischen Sprache oft schwerer verständlich, vor allem aber finden sich in den dar- gestellten Kurztexten (Konspekt) der LP zuweilen doch auch Fehler, insbesondere was Daten betrifft. Wenn der Forscher in erster Linie nur an den personengeschichtlichen Angaben interessiert ist, sollte er, wenn Bibliotheken oder Archive angeschrieben werden, nur um Fotokopien der Lebensbeschreibungen (Personalia) bitten. Dies auch unter dem Aspekt, Kosten zu sparen, besitzen manche Leichenpredigten doch erheblichen Umfang. Nicht verzichten können wird er auf Kopien des Titelblattes und der sog. Widmung, weil hierfür die Genealogie relevante Angaben gemacht werden. Im Allgemeinen bestehen LP aus einem Titelblatt, der so genannten Widmung (Rückseite des Titelblattes oder erste Textseite), dem eigentlichen Predigttext (Trauerrede, Leichenrede), der Lebensbeschreibung des Verstorbenen (Biographie, Personalia, Vita), der so genannten Abdankung und oft noch aus einem so genannten Trauergedicht (Epicedien). In den älteren LP aus dem 16. Jahrhundert beschränkte man sich noch auf den eigentlichen Predigttext, in den einzelne Geschehnisse aus dem Leben des Verstorbenen eingearbeitet wurden. Die angegebenen Personalia waren meist sehr dürftig. Später bestanden die LP aus den beiden Abteilungen der eigentlichen Leichenpredigt und der angehängten Personalien und erst im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden die LP mit der Widmung, der Abdankung und den Epicedien versehen. Das Titelblatt ist deshalb besonders wichtig, weil hier meist neben dem Namen des Verstorbenen der Beerdigungstag angegeben ist (während sich das Sterbedatum oft gar nicht oder nur im Textteil wieder findet). Vor allem aber wird der Pfarrer genannt, der die Predigt hielt (das war oft ein Verwandter, insbesondere bei Theologen) und der Ort der Drucklegung. Die Widmung dagegen enthält meist die Namen der Hinterbliebenen Familienangehörigen, denen der predigende Pastor den Text widmet. Abdankung und Epicedien können deshalb von Belang sein, weil hier oftmals Verwandte des Verstorbenen verantwortlich zeichneten. Für den Familienforscher werden die Personenangaben in der LP naturgemäß von besonderem Interesse sein. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass alle in der LP genannten Vorfahren, Personen und Daten quellenkritisch zu bewerten sind, da diese meist ausschließlich auf mündlichen Überlieferungen der Familienangehörigen des Verstorbenen beruhen, sodass Irrtümer, Fehler und Verwechslungen im Grunde nicht nur nicht auszuschließen, sondern aufgrund der gegebenen Konstellation sogar sehr wahrscheinlich sind. Als zuverlässig mag man im Allgemeinen aber die Angaben über die Eltern, Großeltern und Kinder werten. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass LP in der genealogischen Forschung unbedingt ihren Stellenwert haben, diese jedoch nicht die Bedeutung von Primärquellen besitzen. LP bilden allenfalls eine wichtige Ergänzung zur Forschung in den KB bzw. erhalten sie dort einen höheren Stellenwert, wo KB nicht mehr vorhanden sind oder andere Primärquellen versagen.
Literatur: v. Arnswaldt, Werner Konstantin »Über Leichenpredigten«, Leipzig 1926 (= Praktikum für Familienforscher Heft 15), Nachdruck Neustadt/Aisch 1973 (Verlag Degener) Heydenreich, Eduard »Handbuch der praktischen Genealogie«, Band 1/ 11, Leipzig 1913, ebenda. Band I S. 53 ff.
Lenz, Rudo1f
»Leichenpredigten. Eine Bestandsaufnahme«, Marburg 1980 (= Marburger
Personalschriften-Forschungen Band 3)
Anmerkungen 01 Forschungsstelle für Personalschriften an der Philipps-Universität Marburg, Biegenstraße 36, 35037 Marburg/Lahn 02 Die Gesamtzahl deutschsprachiger LP beträgt etwa 250000 bis 300000 an unterschiedlichen Stand- orten (in der Bundesrepublik etwa 300). Hierbei ist zu beachten, dass darunter viele Mehrfachvorkommen der einzelnen gedruckten LP zu verzeichnen sind. Vergleiche Anmerkung 8. 03 vergleiche. hierzu »Leichenpredigten. Eine Bestandsaufnahme« (hrsg. von Lenz, Rudolf), Marburg 1980 (= Marburger Personalschriften-Forschungen Band 3) 04 hervorgegangen aus der ursprünglichen 40.000 LP umfassenden so genannten »Funeralien-Sammlung« der fürstlichen Stolberg’schen Bücherei in Stolberg/Harz (begründet von Komtesse Sophie Eleonore zu Stolberg-Stolberg, 1669-1745); nach 1870 gingen Duplikate an die fürstliche Bibliothek in Roßla/Harz (Bestand um 1920 9.000 LP) sowie an die fürstliche Bibliothek Wernigerode (Bestand 1920 6.800 LP). Die Hauptsammlung (v. Stolberg-Stolberg) befindet sich heute in Wolfenbüttel (Herzog-August-Bibliothek, Depositum Fürstlich Stolberg-Stolberg'sche LP-Sammlung, Bestand 24600 LP; nach anderen Angaben - eigene Zählung in Wolfenbüttel - Bestand 10900 LP) - Katalog: Wecken, Friedrich »Katalog der fürstlichen Stolberg- Stolberg'schen LP-Sammlung« Band 1-4, Leipzig 1932 05 Angabe nach v. Arnswaldt, Werner Konst. »Über Leichenpredigten«, Leipzig 1926 (Nachdruck Neustadt/Aisch 1973), ebenda. S. 4
06 we vor, ebenda. S. 6
07dito (v. Arnswa1dt, Werner Konst. ...) (die Angabe von v. Arnswa1dt Stadtbibliothek. Braunschweig ist allerdings nicht richtig; die betr. Sammlung befindet sich im Stadtarchiv Braunschweig)
08 mündliche Auskunft H.
Prof. Rudolf Lenz, Marburg/Lahn 14.08.03
09 (URL) http://www.uni-marburg.de/fpmr/gesa/gesaframe.html 10 vergleiche. hierzu »Leichenpredigten. Eine Bestandsaufnahme« (hrsg. von Lenz, Rud.), Marburg 1980, ebenda. S. 70 ff. »Verzeichnisse und Kataloge regionaler Standorte und Sammlungen« 11 Ribbe, Wo1fgang/Henning, Eckart »Taschenbuch für Familiengeschichtsforschung«, 10. Aufl. Neustadt/Aisch 1990, ebenda. S. 132 f. »Leichenpredigten, Literatur« 12 siehe Anm. 10 13 Roth, Fritz »Restlose Auswertungen von LP und Personalschriften für genealogische... Zwecke« Band 1-10, Boppard/Rhein 1959-1980 14 Früh, Gustav/Goedeke, Hans/v. Wi1ckens, Hans Jürgen »Die Leichenpredigten des Stadtarchivs Braunschweig« Band 1-9, Hannover 1976-1985 (= Sonderveröffentlichungen des Niedersächsische Landesvereins für Familienkunde; Band 14)
15 Der biographische Teil ist in den LP unterschiedlich betitelt:
Persona1ia, Vita, Commendatio, Testimonium defuncti, Memoria,
Curriculum vitae, z. T. auch Ehrengedächtnis genannt.
16 wie vor
Deckblatt zur Leichenpredigt von Wilhelm REIFFENSTEIN (1542 - 1598)
Zur Etmylogie des Familiennamens ENGELHARDT
Zur Etymologie des Familiennamens Engelhardt Von Thomas Engelhardt Der Familienname (hier nur noch FN) Engelhardt (-d, -tt, -t) gehört zu den im deutschen Sprachgebiet relativ häufig vorkommenden Namen, da er sich von einem entsprechenden in der Entstehungszeit der FN weit verbreiteten Rufnamen ableitete. Während der Völkerwanderung verfiel das im römischen Reich geltende lateinische Namensystem. Neu sich bildende feste FN treten seit dem 8. Jahrhundert zuerst in den oberitalienischen Städten auf. In Südfrankreich lassen sich dagegen feste Beinamen im 10. Jahrhundert nachweisen, im Gebiet der heutigen romanischsprachigen Schweiz seit dem 11. Jahr- hundert. In Deutschland sind FN erst seit dem 13. Jahrhundert bekannt, wo sie insbesondere in den neu gegründeten städtischen Siedlungen bzw. den nun wachsenden Städten auftreten, sehr oft als übertragene Hausnamen. Seit dem 12. Jahrhundert vom Westen und Süden des deutschen Sprachgebietes aus- gehend, setzten sich die FN bis Ende des 15. Jahrhunderts in den meisten deutschen Ländern und Territorien durch. Oft reichen die deutschen FN mit ihren sprachlichen Wurzeln noch ins germanische Mittelalter zurück, ihre Herausbildung jedoch ist ein länger dauern- der Prozess der Neuzeit. Dieser verlief vielschichtig, komplex und differenziert. Grundsätzlich werden FN nach ihrer Bildung unterschieden. Entsprechend ihrer Entstehung, der Namenbedeutung und Namenbildung teilt man sie ein in Bei-, Haus- und Hofnamen, in Herkunfts-, Orts- und Wohnstättennamen, in Berufs- und Übernamen. Eine große Gruppe stellen die FN dar, die aus Rufnamen abgeleitet sind. Dabei gehören die aus den germanischen Rufnamen gebildeten FN zur ältesten Schicht, darunter auch der FN Engelhardt. Nach Hans Bahlowl ist Engelhard(t) der bekannteste aller Personennamen in Verbindung mit Engel-. Seine Annahme wurde durch die im Mittelalter im deutschen Sprachraum weit verbreitete und bekannte Sage von »Engelhard und Engeltrud« gefördert2. Nach Gottschald3 und Heintze/Cascorbi4 gehört der Name Engelhardt zu der ersten Schicht deutscher FN, die aus heidnischen Personennamen entstanden sind und als alt- einheimisch gelten. Brechenmacher führt ihn auf den Vornamen Engelhart zurück5. Frühe Vorkommen sind im Jahr 1203 (Engelhard6), 1363 (Joh. Engelhardf) und 1490 Engelhart8. Das Verbreitungsgebiet gehäufter Engelhardt-Namensvorkommen zieht sich in einem Streifen von Südniedersachsen über den Harz, das Harzvorland und das Eichsfeld nach Thüringen und Hessen und reicht bis zur Donau. Dabei treten Gebiete mit einer überdurchschnittlichen Häufung hervor, so der Raum Korbach (Waldeck), das Thüringer Becken, Nordthüringen, das Gebiet des Thüringer Waldes und der Raum Nürnberg, Ansbach, Bayreuth. In Nordthüringen ist das Unstruttal und seine Umgebung ein Gebiet, wo dieser FN häufig anzutreffen ist und in vielen Orten vorkommt bzw. früher belegbar ist (Artern, Reinsdorf, Donndorf, Roßleben, Memleben, Bad Bibra, Lossa). Etymologisch wird der FN Engelhardt, der wie oben ausgeführt aus einem gleichlautenden Rufnamen Engelhard (Engelhart) abgeleitet wurde, unterschiedlich gedeutet. »Engel« lässt sich nach Heintze/Cascorbi4 aus dem Wortstamm »ing« herleiten und gehe auf Ingwio, den Namen eines germanischen Stammesgottes zurück (daher auch der Name eines germanischen Stammbundes im Sinne einer Kultgemeinschaft, Ingwäonen). Der Wortstamm ing erweiterte sich zu ingel bzw. engil (auch angil). Dieser traf auf das christliche Lehnwort angil (angelus = Bote Gottes, Engel). Beide zusammen hätten für den damit zwitterhaften Namensbestandteil »angil« als Doppelquelle gedient. In der Zusammensetzung mit der Silbe hart (art, ert = ahd. stark, fest), wäre der Name Engelhard(t) demnach als engelstark zu deuten oder auch im Sinne von »fest wie ein Engel« zu verstehen. In vorchristlicher Zeit hätte engilhart/angilhart die Bedeutung von »stark wie der Gott Ingwio/lngo«. Darüber hinaus gibt es aber auch Deutungen, die den Namen Engelhardt (Angilhart) in einem Zusammenhang mit den germanischen Angeln bringen. Wie die Warnen gehör- ten sie zu den sog. Nerthus- Völkern, die ursprünglich im Ostseeraum siedelten, vor der eigentlichen Völkerwanderungszeit elb- und saaleaufwärts ziehen und den Raum zwischen der mittleren Oder und der unteren Saale besetzen. Sie tragen im 4. Jahrhundert wesentlich zur Bildung bzw. Neuformierung der Thüringer bei. An die Angeln erinnert der in Mittelthüringen gelegene thüringische Altgau Engilin (oder Engelhem), wo sich bis heute die möglicherweise von ihnen gegründeten Dörfer Kirchengel, Feldengel, Westerengel und Holzengel finden. Nahebei, am Südabhang der Hainleite, auch der Engelberg, eine frühgeschichtliche Burgstätte9. Das Gros der im Raum des heutigen Niedersachsen verbliebenen Angeln wandert dann im 5. Jahrhundert zusammen mit den Altsachsen auf die britische Insel ab. Die mittel- deutschen Angeln gehen in den Thüringern auf, beeinflussen aber die Geschichte des Landes offenbar nachhaltig. Das alte Thüringer Volksrecht, um 800 aufgezeichnet, wurde beispielsweise »Lex Angliorum et Werniorum hoc est Thuringorum« bezeichnet (Gesetz der Angeln und Warnen, das ist der Thüringer) und ging als solches in die Geschichte ein. Angil, die ursprüngliche Form des ersten Namensteiles in Engelhardt (Angilhart) bedeutet so viel wie »aus dem Stamm der Angeln«. Annahmen, dass der zweite Namensteil in Engelhardt dem mittelhochdeutschen hart/hart im Sinne von Wald (Gemeindewald, Weidewald) entsprechen würde, treffen nicht zu; insbesondere aus sprachgeschichtlichen Gründen nicht. Eher trifft zu, dass -hardtl-hart b~i der Namensbildung von Angilhart (Engilhart) die Bedeutung von hart, stark besaß. Ursprünglich hieß der Name wohl Angil-ard, wobei ard altsächsischen Ursprungs ist und gleichbedeutend mit Herkunft, Wohnort isVo. Später scheint hier ein Bedeutungswandel eingesetzt zu haben. Aus ard (altsächsisch) wurde alt, ert bzw. in Fortführung hart. Entsprechend der Idealisierung des Kampfes bei den Germanen erfolgte ein Bedeutungswechsel zu hart im Sinne von fest, stark, kühn, der jedoch nicht mit einem Lautwechsel einherging. Als schließlich im 14. Jahrhundert der Einbruch raumfremder kirchlicher bzw. biblischer Namen in das Volksbewusstsein erfolgte, traten die ursprünglichen Bedeutungen alteinheimischer Namen zurück. Diese Entwicklung ging einher mit der Übernahme von bis dahin im deutschen Sprachraum völlig fremden Namen bzw. der Adaptierung der bekannten überkommenen Altnamen. So wurde wohl auch Angil über lateinisch Angelus in Engel umgewandelt und der heute relativ häufige FN Engelhardt erhielt seine endgültige Form. Da aber der FN Engelhardt durchaus auch in Gebieten belegt ist, zu denen der Volks- stamm der Angeln niemals eine Beziehung besaß, greift die vor genannte ~ eines Zusammenhangs zwischen den Angeln und dem Namen Engelhardt zum Zweck der ausschließlichen Klärung der Entstehung des Namens zu kurz. Förstemann nennt folgende Namensformenll: Angelard, Engilhard, Engilhart, Engilart, Enkilhart, Engelhard, Engelhart, Engelard, Hengilhart, Hengilarth, Eggilhard, Eggilhart, Engilhast, Engelhardt, Englert, Engilhad. Ob und inwieweit die zahlreichen Engelhardt-Familien in Nordthüringen, insbesondere jene Stämme in Artern, Reinsdorf, Donndorf, (Bad) Bibra, Memleben und Roßleben einen gemeinsamen Ursprung haben, konnte bis heute noch nicht geklärt werden. Der Autor beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit Familiengeschichtsforschung, hat in dieser Zeit ca. 2700 eigene Vorfahren ermittelt. Darüber hinaus liegen tausende Engelhardt-Belege aus dem deutschen Sprachraum vor, wobei ein Schwerpunkt der Recherche nach Namensträgem Engelhardt Thüringen und angrenzende Gebiete sind. Die eigene Stammreihe kann der Autor in Donndorf/Unstrut bis in die Nachperiode des Dreißigjährigen Kriegs zurück verfolgen, wobei bekannt ist, dass die zuerst in Donndorf sich niederlassenden Engelhardt aus Memleben kamen. Es liegen ihm zahlreiche Stammlisten, Ahnenlisten, Nachfahrenlisten und anderes genealogisches Material über andere Engelhardt-Stämme in der Region vor. Interessierte können sich jederzeit an das Archiv wenden: Familienarchiv/Genealogische Sammlungen, Postfach 143,31235 Ilsede. Abschließend sei jedoch festzustellen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Engelhardt- Stämme in Artern, Reinsdorf, Donndorf (Mernieben) und (Bad) Bibra unabhängig voneinander sind, groß ist. Wie ausgeführt, gehört der FN Engelhardt zu den in Deutschland häufig vorkommenden FN und hat sich im Zuge der Herausbildung von FN sicherlich zeit- gleich an vielen Orten vom Rufnamen zum FN gewandelt. Hinzu kommt die auch früher relativ hohe geographische Mobilität der Bevölkerung. Einzel- als auch Massenwanderun- gen sind gerade in Mitteldeutschland viel beobachtbare historische Phänomene. So gehören zu den Vorfahren des Autors Norddeutsche, Hessen, Oberfranken, Oberpfälzer, die in verschiedenen Zeiten und aus den unterschiedlichsten Gründen nach Thüringen kommen. Bezüglich solcher Einzelwanderungen wird deutlich, wie sehr die geographische und die soziale Mobilität einander bedingen. Nicht zuletzt hatten auch die vielen Kriege, die über Thüringen hinwegzogen, Auswirkungen auf die Bevölkerung. Eine Zäsur stellt hier insbesondere der Dreißigjährige Krieg dar. Inwieweit die genetische Kontinuität der Bevölkerung Thüringens infolge der Auswirkungen dieses Krieges (hohe Sterberate, Einwanderungen, Vergewaltigungen, Neuansiedlungen) nachhaltig ver- ändert wurde, wäre noch zu untersuchen. Fest steht aber zweifelsfrei, dass gerade auch unsere Heimatregion stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Unter diesem Aspekt erscheint es berechtigt, davon auszugehen, dass möglicherweise durch eine umfassende Umschichtung der Wohnbevölkerung auch Engelhardt aus anderen Landesteilen Thüringens oder sogar aus entfernteren deutschen Territorien nach Thüringen ins Unstruttal kamen, um sich hier niederzulassen und einen Neuanfang zu finden. Kursachsen stellte Mitte des 17. Jahrhunderts immer noch eines der entwickeltsten und auch reichsten Gebiete des Reiches dar und war für viele Flüchtlinge und Gestrandete sicherer Fluchtpunkt. Es soll mit dieser Darstellung lediglich aufgezeigt werden, dass man von heutigen oder auch von früheren Wohnorten z. B.: von Namensträgern-Engelhard nicht unbedingt auf ursprüngliche Herkunft schließen darf. ~ Die eigene Familiengeschichte des Autors illustriert diese Tatsache in eindrucksvoller Weise. Das aber wäre Thema eines eigenständigen Beitrages. Quellen 1 Bah1ow, Hans: Deutsches Namenlexikon, Hamburg 1988 2 eigentlich eine Versnovelle Konrads von WÜfzburg (1220-1287), basiert auf der gleichnamigen Freundschaftssage 3 Gottscha1d, Max: Deutsche Namenkunde, Ber1in 1970 (4. Aufl.) 4 Heintze, Albert u. Cascorbi, Pau1: Die deutschen Familiennamen geschichtlich, geographisch, sprachlich, Halle/Saale 1933 (7. Aufl.) 5 Brechenmacher, Josef K.: Rtymo1ogisches Wörterbuch der dt. Familiennamen (2 Bde.), Limburg/Lahn 1957/63 (2. Aufl.) 6 Zoder, T.: Familiennamen in Ostfalen (2 Bde.), Hi1desheim 1968 7 Notar zu Kassel, aus Witzenhausen, in: Klöster, Stifter und Hospitäler der Stadt Kassel und Kloster Weißenstein, bearb. von Joh. Schu1tze, Marburg 1913 8 He11fritzsch, \':: Vogt1ändische Personennamen, Ber1in 1963 9 Riemann, Robert: Beiträge zu Thüringens Frühgeschichte Hornburg o. J. (ca. 1989) 10 Angi1-ard also gleichbedeutend mit »Wohnplatz der Angeln« 11 Förstemann, Ernst: Altdeutsches Namenbuch, Bonn 1900 (2. Aufl.) Weiterhin verwendete Literatur: Eckhart Henning, Wolf gang Ribbe: Handbuch der Genealogie, Neustadt/Aisch 1972 - Horst Naumann: Familiennamenbuch, Leipzig 1987 - Eduard Heydenreich: Handbuch der praktischen Genealogie - (2 Bde.), Leipzig 1913 - Erich Wentscher, Die Rufnamen des deutschen Volkes, Ha11e/S. 1928 - Gustav Enge1hardt, Thomas Engelhardt, Rotger M. Sneth1age: Enge1hardt. Namensvorkommen und Stammesfo1gen, Typoskript, Aachen 1995 - Stammfolge des Geschlechts Enge1hardt aus Linz a. d. Donau (herausgegeben von Lic. Hans Enge1hardt, Guttenberg 1931) Familienforschung in Mitteldeutschland - Heft 2/2005 59
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